14. Dezember 2012



Interview mit Christian Letschert-Larsson


Kölner Stadt-Anzeiger vom 14. Dezember 2012
von Ulla Jürgensonn

"Wir haben keine drei Chancen"
Ulla Jürgensonn hat sich mit dem Musikdirektor Christian Letschert-Larsson über die Zukunft und die Chancen von Chören unterhalten.  Mit dem Concert-Chor Concordia Hürth tritt er in der Kölner Philharmonie auf.

Der Concert-Chor Concordia singt am 23. Dezember in der Kölner Philharmonie, und das nicht zum ersten Mal. Das ist doch ungewöhnlich für einen Chor aus dem Rhein-Erft-Kreis.
Christian Letschert-Larsson:
Das ist ein ganz hohes kaufmännisches Risiko, und gleichzeitig ist damit ein ungewöhnlich hoher Anspruch verbunden, denn man wird natürlich verglichen, ob man will oder nicht. Der Kartenverkauf läuft bisher sehr gut.

Wer geht da hin? Fahren die Hürther nach Köln, um ihren Chor zu hören, oder gehen die Kölner in ihre Philharmonie?
Letschert-Larsson:
Das ist ungefähr halbe-halbe. Man kann sogar sagen, dass mittlerweile der Verkauf über Kölnticket mehr als die Hälfte ausmacht. Wir haben auch gar nicht so viel Stammpublikum. Ins Knapsacker Feierabendhaus gehen ungefähr 1000 Leute, und das haben wir bei den letzten Auftritten nicht komplett gefüllt. Das fremde Publikum macht die Sache natürlich sehr spannend.

Lockt so ein Auftritt auch neue Sänger in einen Chor?
Letschert-Larsson:
Natürlich. Zum einen Projektsänger, die nur für dieses eine Konzert einsteigen. Wir hoffen, dass der eine oder andere dabeibleibt. Wir arbeiten auch wieder mit dem Albert-Schweitzer-Gymnasium zusammen, stellen den Schülern das Werk vor und hoffen, dass dann Jugendliche beim Chor hängen bleiben. Das ist uns in den letzten Jahren gelungen, wir haben sechs, sieben Mitglieder um die 20.

Was ist das Erfolgsrezept: Warum vergreisen machen Chöre, und andere kriegen die Kurve?
Letschert-Larsson:
Ich habe zum Beispiel auch einen Männerchor, und da gab es einen jungen Zugang, so Mitte 30. Den habe ich auf der Weihnachtsfeier gefragt, wie er dazu komme, was er denn beruflich mache. Die Antwort: Er sei Bestatter. Da konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Für die reinen Männerchöre gibt es keinen Nachwuchs, Jugendliche wollen nicht in Männerchöre. Die verbinden damit Altertümliches. Auch die Literatur anzupassen bringt nichts. Wenn, dann gehen die in gemischte Chöre. Oder in kleinere Ensembles, die Pop singen.

Gospelchöre haben Zulauf, auch von Männern.
Letschert-Larsson:
Gospel hat gerade so einen Hype. Ich finde es toll, wenn die Leute dahin gehen. Den Traditionschören hilft das natürlich überhaupt nicht. Das sind zwei Welten.

Müssen wir uns damit abfinden, dass der Männerchor ausstirbt?
Letschert-Larsson:
Es sieht ein bisschen danach aus. Oder es wird eine andere Generation von Männern geben. Oder man muss sich überlegen, wie der Männerchor wieder ein Anziehungspunkt wird. Aber es sieht schwierig aus. Der Männerchor kommt ursprünglich aus der Arbeiterschaft. Ein Chor, den ich betreue, heißt Männergesangverein „Erholung“ Oberaußem. Ich musste erst lernen, warum. Wenn man abends aus dem Tagebau kam, erholte man sich, man trank ein Bier, man redete miteinander, und man sang. Es gibt Bilder, da sitzen die mit einem Notenblatt hier, einem Glas Bier da und der Zigarette im Mund. Aber die Gesellschaft hat sich verändert. In dieser schnelllebigen und medial bestimmten Zeit fällt es vielen schwer, sich hinzusetzen und ein schwieriges Stück zu erarbeiten. Das ist kein schneller Erfolg. Vielleicht müssen junge Leute erst auf den Geschmack kommen, dass Mühe Spaß machen kann.

Wir müssen aber trotz dieser Entwicklung keine Angst haben, dass die Menschen aufhören zu singen, oder?
Letschert-Larsson:
Nein, das glaube ich gar nicht. Singen tut ja fast jeder, und sei es unter der Dusche. Singen ist wie Tanzen ein Urbedürfnis des Menschen. Ich behaupte auch, jeder kann singen.

Wenn Sie sich die Chorlandschaft dieses Kreises anschauen, sind Sie dann zufrieden?
Letschert-Larsson:
Jein. Natürlich ist es schön, dass so viel gesungen wird. Schöner fände ich es, wenn es nicht so darum ginge, dass viele singen, sondern dass viele schön singen. Dabeisein ist nicht alles, es sollte ein Mindestanspruch erfüllt werden, zur Befriedigung aller.

Noch mal zu Concordia. Wenn man in der Philharmonie auftritt, ist das auch für Sie noch einmal mehr Adrenalin als im Medio oder im Feierabendhaus?
Letschert-Larsson:
Ja, sicher. Die Philharmonie ist eine besondere Herausforderung, es ist wie im Amphitheater, alle gucken von allen Seiten. Und man setzt sich natürlich automatisch einer großen Konkurrenz aus. Deshalb bilden ein professionelles Orchester und professionelle Solisten das Gerüst, in das sich die Amateure des Chores gut einbetten können.

Nun hat dieser Chor ja monatelang für dieses Konzert geübt. Können die das nicht irgendwann ohne Sie? Was machen Sie noch da vorne?
Letschert-Larsson:
Das wäre schön, wenn das ohne mich ginge. Als Dirigent müssen Sie im Konzert 150 Prozent hineingeben, damit Sie 80 herausholen. Das hat etwas von Animateur. Der Dirigent gibt Sicherheit. Es geht nicht darum, dass er die Einsätze gibt, sondern darum, dass er mit bestimmten Gesten das abruft, was ein halbes Jahr lang eingesät wurde. Und das muss genau zum Zeitpunkt X abgeholt werden. Wir haben keine drei Chancen wie beim Weitwurf.

Das Gespräch führte Ulla Jürgensonn